2.2 Orthographiebezogene Besonderheiten

  • Plene- und Defektivschreibung

Bei langen Vokalen wird Plene- und Defektivschreibung, bei kurzen Pleneschreibung berücksichtigt: Plene: /ā, ē, ī, ō, ū/, defektiv: /ā*, ē*, ī*, ō*, ū*/; plene bei kurzem Vokal: /a(h), i(y), u(w)/.

  • Tib. Doppelkonsonanz

Tib. bedingte Doppelkonsonanz wird durch /⁺/ markiert, und zwar als sog. sekundäre Gemination /qȧṭan⁺īm/) oder Dagesch in der Funktion des Mappiq /ha=LW-ī*y⁺ī*m/).

  • Tib. Orthographie des /ʾ/ nach Vokal

Besonders vielfältig ist die tib. Behandlung von /ʾ/, sie wird in der Transkription berücksichtigt:

Etymologisches, nicht (mehr) gesprochenes /ʾ/ wird in runden Klammern notiert /rō(ʾ)š, śē(ʾ)t/) oder in eckigen Klammern restituiert, wenn nicht geschrieben /mibī[ʾ], rē[ʾ]m, bō[ʾ]r/).

Durch Schewa widerrufene Ersatzdehnung wird in der Position des /ʾ/ berücksichtigt /ś(ʾ)ēt, r(ʾ)ēm-, m(ʾ)ōd/).

Durch Chateph-Zeichen markiertes und wohl restituiertes /ʾ/ wird als Silbenschluß-Konsonant behandelt, auch wenn dies nur tib. Schul-Theorie, kaum sprachlicher Wirklichkeit entspricht wa=yiʾsup/).

Langes /ē, ō/ vor /ʾ/ wird nach Plene- oder Defektivschreibung unterschieden /yabōʾū/ vs. /yabō*ʾū/, /yabō(ʾ)/ und /yabō*(ʾ)/). Ausnahme: /lō(ʾ)/ und /lō(wʾ)/.

Ist gelängtes /ē, ō/, vor /ʾ/ zusätzlich Plene geschrieben, so wird dies notiert /śnō(wʾ)/).

  • Tib. Orthographie des /ʾ/ zwischen Vokalen

Das /ʾ/ wird ohne Klammern wiedergegeben. Der vorhergehende lange Vokal bleibt unverändert /yabōʾū/ und /yabō*ʾū/). Gelängter vorausgehender Vokal wird kurz /maṣā(ʾ)/ vs. /maṣȧʾā/, /yiṣē(ʾ)/ vs. /yiṣïʾū/).

  • Chateph-Zeichen

Chateph-Zeichen lenken die Aufmerksamkeit auf /ʾ, h, ʿ, ḥ, r/, als seien diese ein Sonderfall unter den Konsonanten. Sie behandeln sie aber als Klasse, als hätten sie gleiche Artikulationsbasis. Tib. Schul-Theorie scheint sie so zu markieren, als seien sie wiederzubeleben, da im Gottesdienst nicht mehr gesprochen. Sie werden hier als Konsonanten behandelt, Chateph-Zeichen deshalb nicht wiedergegeben, sondern als /{\O /} /hiʿmīq/) oder /ȧ, ï, u̇/ angesetzt /tibḥȧrū/).

  • Anaptyktische Vokale

Anaptyktische Vokale und die in ihrem Umfeld belegte Vokalharmonie <mäläk> zu /malk/, <wayyaharguw> zu /wa=yïhru̇gū/, ebenso Patach furtivum) werden — da phonetisch bedingt — nicht berücksichtigt.

Paradigmatisch bedingtes /i/ vor /ʾ, h, ʿ, ḥ/ wird aus <a> zu /ï/ restituiert /šillïḥ/).

  • Lautwandel

Bei Lautwandel /i/ > /a/ in geschlossener, betonter Ultima wird morphologisches /i/ als /ï/ restituiert bï[t]t). /a/ < /i/ in geschlossener betonter Paenultima wird, da paradigmatisch geworden, beibehalten /tilid/ vs. /tiladna(h)/, /higdīl/ vs. /higdalta/).

Langer Vokal in geschlossener Silbe wird kurz (so bei /g˙birt/ <~*/g˙bīrt/, aber auch /šȧlušt/ < */šȧlōšt/, /nu̇ḥušt/ < */nu̇ḥōšt/ [mit Cholem, Qames Chatuph auch Qibbus geschrieben, Quantitäts- und Qualitätswechsel!, vgl. tib. Behandlung von /manōḥ, mȧnūḥā/ ]1Qualitäts- und Quantitätswechsel erscheint unsemitisch. /ō/ sollte /o/, /ē/ sollte /e/ ergeben: */šalošt-a=m/, */yiṣeʾū/. Die tib. kurzen Vokale sind wohl <a, e, o>, die auf /a, i, u/ zurückgehen und hier restituiert werden, deshalb /yiṣïʾu/. Die Wiedergabe /šalušt-a=m/ ist morphologisch problematisch, trotz tib. <nḥuštåm, nḥuštaym>.).

Langer Vokal /ū, ō/ vor langem /ū, ō/ wird /ī/ /rī(ʾ)šōn/ < */rō(ʾ)šōn/). Langer Vokal /ā/ vor langem /ā, ō/ wird kurz /a/ /zadōn/ < */zādōn/).

Kurzer Vokal /a/ wird in tonloser, geschlossener Silbe zu /i/ /biltī, yittin/), vor /ʾ, h, ʿ, ḥ, r/ zu /ï/ restistuiert (tib. <yaʿmod, yarʾ> zu /yïʿmud, yïrʾ/). Dadurch wird G von H unterscheidbar /yïrʾ/ G vs. /yarʾ/ H).

  • Prosodisches

Folgende prosodische Notierungen sind aufgenommen:

Markierungen größerer Einheiten am letzten Wort: Varianten im ePP /-a=k, -i=ka/ vs. /=ka/), in der Verbalform /natanā/ vs. /natȧnā/, /šamiʿā/ vs. /šamïʿā/, die Pausa ist hier zugleich Stütze eines morphologischen Ansatzes).

Statt Elision des /ʾ/ am Wortanfang, das zwischen zwei Vokale zu stehen kommt, dessen zweiter ausfiel, in der Sprache, nicht in der Schrift, wird primärer Vokal restituiert <waʾdonay>, gemeint <wā(ʾ)dō*nay> zu /w˙=ʾȧdōn-ay=[y]/, <leʾlohiym> zu /l˙=ʾïlō*hīm/; anders nur: <leʾmor> zu /lē=(ʾ)mur/).

Markierungen am Wortanfang (Dagesch nach Vokalauslaut am vorangehenden Wort), sekundäre Gemination nach Artikel und nach wa=, sodann Assimilation von steigenden <(w)u=ksiyl> aus /w˙=k˙sīl/) und fallenden Diphthongen <wiyhiy> aus /w˙=yïhy/) infolge Wortfügung mit Proklitikon sind nicht angegeben, da sie regelhaft zu sein scheinen.

  • Eigennamen

Eigennamen erscheinen in transliterierten Großbuchstaben (YHWH). Bei ON2Die Unterscheidung, ob Ortsname oder Ortsbeschreibung vorliegt, ist nicht immer sicher RM-ā oder /rāmā/). Letztere wird transkribiert. werden grammatische Morpheme isoliert, wenn dies aufgrund von Oppositionen bei einem ON möglich ist /ʿZ-ā/ vs. /ʿZ-at-a-h/). In Frage kommen /-ā, ʾat, -ōt; -īm, -aym/. Die Nisbe der Individualnamen wird regelmäßig angegeben: /-ī, -īt, -ī(*)y⁺ā/. Die tib. Analyse der EN und ihr Vergleich mit anderen, vornehmlich griechischen (LXX) Transkriptionen und deren morphologische Grundlagen interessieren gesondert.

Die Rücksicht auf die tib. Orthographie zeigt den großen Respekt vor der Arbeit der tib. Masoreten. Sie sollten viel mehr Gegenstand strenger linguistischer Analysen werden. Es lohnt sich, über die Rezeption der Schulgrammatik hinauszuwachsen und den Stand der tib. Realisation der hebr. Sprachüberlieferung zu erkennen und zu beschreiben, auch wenn sich dabei ergeben könnte, daß die gemeinhin angenommene, noch nicht bewiesene These der Übereinstimmung des tib. Hebr. mit dem zu erarbeitenden Althebr. nicht generell beibehalten werden kann. Dies wird noch deutlicher, wenn man die (von der babylonischen abweichende) tib. Behandlung der aram. Texte des AT vergleicht, die sich von der der hebr. Texte nicht grundlegend unterscheidet. Sie läßt zweifeln, ob die Texte über gute aram. Traditionen verfügten, und damit, ob das tib. Bibel-Aram. zum Maßstab der Vokalisierung des (Alt-)Aram. taugt.

 

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Fußnoten

Fußnoten
1 Qualitäts- und Quantitätswechsel erscheint unsemitisch. /ō/ sollte /o/, /ē/ sollte /e/ ergeben: */šalošt-a=m/, */yiṣeʾū/. Die tib. kurzen Vokale sind wohl <a, e, o>, die auf /a, i, u/ zurückgehen und hier restituiert werden, deshalb /yiṣïʾu/. Die Wiedergabe /šalušt-a=m/ ist morphologisch problematisch, trotz tib. <nḥuštåm, nḥuštaym>.
2 Die Unterscheidung, ob Ortsname oder Ortsbeschreibung vorliegt, ist nicht immer sicher RM-ā oder /rāmā/). Letztere wird transkribiert.